Einbeck (zir). Mit einer eindringlichen und zugleich berührenden Auftaktveranstaltung ist am Donnerstagabend die Anne-Frank-Ausstellung im Alten Rathaus in Einbeck eröffnet worden. Zahlreiche Gäste füllten den historischen Rathaussaal, unter ihnen Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kultur, Bildung und Zivilgesellschaft. Der Rahmen war feierlich, zugleich aber von Nachdenklichkeit geprägt – passend zu einer Ausstellung, die nicht nur die Geschichte Anne Franks, sondern auch den Nationalsozialismus und seine Auswirkungen in den Mittelpunkt stellt.
Kerstin Hillebrecht: Haltung von Respekt und Menschlichkeit
Kerstin Hillebrecht von der Jugendpflege/NETVIP eröffnete die Redebeiträge. Sie schilderte eindrücklich, wie sehr sie die Geschichte Anne Franks bereits seit ihrer Jugend bewegt habe. Mit zwölf Jahren sei sie erstmals mit dem Tagebuch konfrontiert worden – und tief erschüttert gewesen. Gerade diese Erschütterung mache die Auseinandersetzung mit Anne Frank bis heute so wichtig. Die Ausstellung solle daher nicht nur Wissen vermitteln, sondern vor allem eine Haltung mit auf den Weg geben: eine Haltung des Respekts, der Menschlichkeit und des friedlichen Miteinanders.
Bürgermeisterin Michalek: Peer-Education als Herzstück
Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek knüpfte daran an und erinnerte in ihrer Ansprache an das Schicksal Anne Franks, die während der Zeit im Amsterdamer Hinterhaus ihr weltbekanntes Tagebuch führte. 1944 wurde sie deportiert und starb im Konzentrationslager, einzig ihr Vater überlebte. Michalek betonte, dass die Ausstellung nicht nur die Geschichte Anne Franks erzähle, sondern auch die Verfolgung im Nationalsozialismus insgesamt in den Blick nehme. Ein besonderer Schwerpunkt sei die Peer-Education: 22 Jugendliche seien dafür ausgebildet worden, als Ausstellungsbegleiter ihr Wissen an andere weiterzugeben. Dieses Prinzip ermögliche einen Austausch auf Augenhöhe, der Jugendliche besonders anspreche. Michalek hob hervor, dass allein 800 Schülerinnen und Schüler aus Dassel die Ausstellung besuchen würden. Sie dankte allen Beteiligten für ihre Unterstützung und zeigte sich erfreut, dass so viele Gäste aus Nah und Fern, darunter sogar aus Kambodscha, der Einladung gefolgt seien.
Stefan Wilbricht: Zugang zum Thema durch Anne Frank
Stefan Wilbricht, seit 2023 Leiter der Gedenkstätte Moringen, knüpfte an die Erinnerungsarbeit an. Er berichtete von seiner eigenen Betroffenheit angesichts eines Gedenksteins in Bergen-Belsen, an dem Besucher Blumen, Kerzen, Briefe und Stofftiere für Anne Frank niedergelegt hätten. Diese persönliche Anteilnahme verdeutliche, welch besondere Rolle Anne Frank im kollektiven Gedächtnis einnehme. Zugleich stellte Wilbricht die Frage, ob der „Ikonenstatus“ Anne Franks nicht auch kritisch zu betrachten sei. Denn neben ihr habe es viele andere Schicksale gegeben, die ebenso in Erinnerung bleiben müssten. Er verwies beispielhaft auf Jelena Wladimirowna Muchina, die als 16-Jährige ein Tagebuch führte, sowie auf Anita Lasker-Wallfisch, deren Erinnerungen inzwischen nicht mehr verlegt würden. „Es ist an uns, auch an die anderen zu denken“, betonte er und machte damit deutlich, wie umfassend Erinnerungskultur verstanden werden müsse.
Museumsleitung Weichert: Stadtmuseum erstmals beteiligt
Dr. Imke Weichert, Leiterin des Stadtmuseums Einbeck, stellte die begleitende Satellitenausstellung vor, die erstmals Teil einer so bedeutenden Kooperation sei. Im zweiten Obergeschoss des Museums werde die Geschichte zweier Familien erzählt, die stellvertretend für viele andere Schicksale stünden. Ein Zeitstrahl ordne die Ereignisse ein und mache die Dimension des Unrechts greifbar. Ziel sei es, den sechs Millionen verfolgten Jüdinnen und Juden ein Gesicht zu geben und die Besucherinnen und Besucher emotional zu erreichen. Weichert betonte, dass das Thema angesichts aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen „heute aktueller denn je“ sei.
Stimmen der Kooperationspartner
Auch die Kooperationspartner unterstrichen die Bedeutung der Ausstellung. Stefan Jagonak, Vorsitzender des Vereins FIPS, sprach von der großen Chance, durch die Ausstellung unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen. Es sei wichtig, in der Sensibilisierung nicht nachzulassen, sondern gemeinsam Kräfte zu bündeln und den Austausch zu suchen. Jolanda Fritz vom Verein M.U.T.I.G. e.V. betonte, wie notwendig es sei, die Ausstellung zum dritten Mal nach Einbeck geholt zu haben. Sie erinnerte daran, dass Antisemitismus in allen gesellschaftlichen Gruppen vorkomme und verwies auf aktuelle politische Entwicklungen – von rechtsextremen Tendenzen in Deutschland bis hin zu internationalen Konflikten. Fritz machte deutlich, dass man Leid und Betroffenheit niemals gegeneinander aufrechnen dürfe. Gerade deshalb sei die Ausstellung so wichtig: Sie erinnere nicht nur an die Vergangenheit, sondern konfrontiere Jugendliche auch mit Fragen nach Identität und Zugehörigkeit. Ihr Dank galt den Schülerinnen und Schülern, die als Peers ihre Freizeit einsetzten, ebenso wie den „Omas und Opas gegen Rechts“, die sie in der Ausbildungszeit unterstützt hätten.
Theateraufführung als eindrucksvolles Finale
Den Abschluss des Abends bildete eine besondere Theateraufführung des „Theaters in der List“ aus Hannover. In einer multimedialen Lesung brachten Christiane Ostermayer und Willi Schlüter, unterstützt durch die Stimme von Marie-Madeleine Krause als Anne Frank, Auszüge aus dem Tagebuch zu Gehör. Mit eindringlichen Passagen wurde geschildert, wie das Leben der Familie Frank immer stärker durch antisemitische Gesetze eingeschränkt wurde, bis hin zum Versteck im Amsterdamer Hinterhaus und der ständigen Angst vor Entdeckung. Die Darstellung vermittelte eindrucksvoll die Gedankenwelt Anne Franks und machte ihre Erfahrungen für die Zuschauer greifbar. Willi Schlüter erinnerte daran, dass er bereits bei der ersten Ausstellungseröffnung vor einigen Jahren beteiligt gewesen sei. Immer wieder stelle er fest, wie wertvoll diese Lesungen gerade für Jugendliche seien, um den Zeitgeist zu verstehen und das Gedenken wachzuhalten.
Die Ausstellung ist noch bis zum 9. Oktober im Alten Rathaus sowie im Stadtmuseum zu sehen. Ergänzt wird sie durch ein vielfältiges Begleitprogramm, das unter anderem Filmvorführungen im Kino „Neues Deli“ einschließt. Mehr Infos gibt es hier.
Fotos: zir